4. Vergleich der Varianten
4.1 Vorbemerkungen
Die bisherige Planung von Hessen Mobil (HM) hat noch keinen seriösen Variantenvergleich hervorgebracht. Darin besteht ein Grund für die kontroverse Diskussion zwischen den Planern von HM und den Teilnehmern des Runden Tisches (RT), die bisher zu keinem einvernehmlichen Ergebnis geführt haben. Deshalb ist es dringend geboten, einen Variantenvergleich herbeizuführen, der auch harten Kriterien standhält.
Das zu diesem Vergleich erforderliche Verfahren steht mit der Nutzwertanalyse zur Verfügung. Es ist in den folgenden drei Teilschritten durchzuführen:
1. Ermitteln der Gewichtungsfaktoren
Hier geht es allein um die Wichtigkeit der Kriterien, nach denen die Varianten zu überprüfen sind. Die Varianten selbst haben in diesem Schritt noch keine Bedeutung.
2. Ermitteln der Zielerfüllungsfaktoren
Diese Faktoren beschreiben den Grad, mit dem die einzelne Variante jedes einzelne Kriterium erfüllen kann.
3. Ermitteln der Nutzwerte und der optimalen Variante
In diesem Schritt werden die Gewichtungsfaktoren der Kriterien und die Zielerfüllungsfaktoren der Varianten zusammengeführt und zu Nutzwerten verbunden.
Dieses professionelle Verfahren findet breite Akzeptanz, es hat in vielen erfolgreichen Projekten seine Qualität und seine Aussagekraft bewiesen.
4.2 Varianten
Vor dem Erarbeiten des zweiten Teilschrittes ist es notwendig, die möglichen Varianten zu benennen. Um realistische Varianten zu definieren, orientiert man sich an der technischen Machbarkeit, dem zu erwartenden wirtschaftlichen Resultat und dem tatsächlichen Bedarf, soweit sich diese Orientierungspunkte vor Beginn der Auswertungen überhaupt benennen lassen. Es ist zu unterscheiden nach zwingenden Kriterien und nach solchen Kriterien, die zwar wünschenswert sind, die sich aber nicht immer vollständig erfüllen lassen. Wird ein zwingendes Kriterium nicht erfüllt, so scheidet die Variante aus.
Bei der Aufstellung der Varianten ist es unzweckmäßig, die detaillierten Abweichungen sofort als neue Variante zu benennen, wie etwa unterschiedliche Ausführungen einer Anschlussstelle, sondern es sollten in dieser Phase die wesentlichen Varianten bezeichnet werden. Die sind im vorliegenden Fall:
1. 0-Trasse (Aufwerten der B7)
Die Neubautätigkeiten werden beendet, und die bereits gebauten Teile der A44 werden an die bestehende B7 angeschlossen.
2. Lossetaltrasse
Die von Hessen Mobil begonnenen Aktivitäten werden entsprechend der bereits geplanten Trasse im Lossetal weitergeführt. Dabei wird die Strecke durch das Lossetal bis zum Anschluss an die A7 im Bereich Papierfabrik gebaut.
3. H-Trasse
Die Trasse wird aus dem Lossetal in Höhe der Kunstmühle herausgeführt und direkt an das neu entstehende Kasseler Kreuz angebunden. In diesem Fall wird die Führung der Strecke über die A7 vermieden.
4. D-Trasse
Diese Trasse wird bereits in Nähe der sog. Waldhofkurve aus dem Lossetal herausgeführt und mit einem Tunnel unter Stiftswald und Söhre direkt an das neu entstehende Kasseler Kreuz angebunden. In diesem Fall wird die Führung der Strecke über die A7 und durch das Lossetal verhindert.
4.3 Ermitteln der Gewichtungsfaktoren
Im ersten Schritt ist festzustellen, welche Kriterien von hoher Wichtigkeit sind und welche eher eine geringere Bedeutung haben. Bevor die Kriterien gewichtet werden können, sind sie zunächst zu benennen. Diese Auflistung der Kriterien hat man auch im Dialogverfahren zwischen dem hessischen Verkehrsministerium und dem RT realisiert, allerdings wurde die nachfolgende Gewichtung willkürlich von HM vorgenommen, ohne dass die Teilnehmer des RT beteiligt wurden. Deshalb werden Auflistung und Bewertung der Kriterien in dieser Studie vollständig durchgeführt. Folgende Kriterien werden in diesem Fall berücksichtigt:
1. Investitionskosten
2. Belastung von Wasser und Luft
3. Erhalt von Straßen (B7/K7)
4. Verkehrsführung (Überlagerung A7 und A44, Streckenlänge)
5. Erhalt Anschluss Kassel Ost
6. Naturschutz, FFH-Gebiete
7. Umleitungsverkehr
8. Einfluss auf Gewerbe
9. Lärmschutz
10. Ortsentwicklung
11. Gesundheitsbelastung
Diese Kriterien sind jetzt in paarweisen Vergleichen auf ihre Wichtigkeit zu prüfen. Dabei wird jedes einzelne Kriterium jedem anderen gegenübergestellt, und die Wichtigkeit mit einer Verhältniszahl bemessen. Es werden jeweils 4 Punkte vergeben, d.h. wenn beide Kriterien als gleichermaßen wichtig eingestuft werden, dann erhält jedes Kriterium 2 Punkte. Ist eines wichtiger als das andere, werden die Punkte im Verhältnis 3:1 verteilt, und bei einer überragenden Wichtigkeit eines Kriteriums gegenüber dem anderen wird das Verhältnis mit 4:0 bewertet.
Resultat aus dem Ermitteln der Gewichtungsfaktoren (GF):
Bei horizontaler Addition der Punkte ergibt sich für jedes Kriterium eine Summe, die sich jeweils in einen Prozentwert umrechnen lässt. Die Rangfolge in der Wichtigkeit der Kriterien ergibt sich ebenfalls aus dieser Übersicht. Damit den Bewertungen keine Willkür unterstellt werden kann, ist es notwendig, die Begründungen für alle Vergleiche zu nennen. Diese Begründungen sind in Beilage 4.3-01 aufgelistet.
4.4 Ermitteln der Zielerfüllungsfaktoren
In diesem Schritt ist zu klären, wie die Varianten die einzelnen Kriterien erfüllen. Dazu werden jeweils maximal 10 Punkte vergeben, wobei eine besonders gute Erfüllung des Kriteriums diese 10 Punkte generiert. Sollte ein Kriterium von einer Variante überhaupt nicht erfüllt sein, so erhält diese Variante 0 Punkte für dieses Kriterium. Die Zwischenwerte sind entsprechend ihrer Zielerfüllung abzustufen. Bei der Vergabe der Punkte ist insbesondere der Vergleich der Varianten untereinander von wesentlicher Bedeutung.
Das Resultat der Punkteermittlung ergibt sich wie folgt:
Kriterium | Faktor | ||||
Nr. | Tal- Trasse | H- Trasse | D- Trasse | 0- Trasse | |
1 | Investitionskosten | 6 | 5 | 1 | 9 |
2 | Belastung Wasser / Luft | 1 | 5 | 7 | 6 |
3 | Erhalt von Straßen (B7 / K7) | 3 | 6 | 9 | 9 |
4 | Verkehrsführung (A7, Lg.) | 2 | 6 | 8 | 5 |
5 | Anschluss KS Ost | 0 | 10 | 10 | 10 |
6 | Naturschutz, FFH-Gebiete | 3 | 4 | 5 | 3 |
7 | Umleitungsverkehr | 3 | 6 | 10 | 4 |
8 | Einfluss auf Gewerbe | 1 | 5 | 8 | 3 |
9 | Lärmschutz | 2 | 5 | 7 | 5 |
10 | Ortsentwicklung | 1 | 8 | 10 | 9 |
11 | Gesundheitsbelastung | 1 | 5 | 7 | 5 |
Die einzelnen Werte sind zu begründen; diese Begründungen sind in Beilage 4.4-01 aufgeführt.
Im direkten Vergleich der Zielerfüllungsfaktoren lassen sich bereits Stärken und Schwächen der einzelnen Varianten erkennen. Dabei gibt es abgestufte Bewertungen für ein Kriterium, im Fall des Anschlusses KS Ost (Kriterium Nr. 5) handelt es sich allerdings um ein „schwarz-weiß-Kriterium“, bei dem deshalb nur Wertungen von 0 oder 10 auftreten, dazwischen kann es keine andere Wertung geben. Um das ermittelte Resultat zu quantifizieren, sind die bisherigen Zwischenergebnisse im nächsten Schritt zusammenzuführen.
4.5 Ermitteln der Nutzwerte und der optimalen Variante
Nachdem die Gewichtungsfaktoren der Kriterien und die Zielerfüllungsfaktoren der Varianten ermittelt sind, lassen sich jetzt die Nutzwerte und damit die optimale Variante ermitteln. Dazu werden die einzelnen Werte der Zielerfüllungen mit den Gewichtungsfaktoren zu Teilnutzwerten multipliziert; die Summe der Teilnutzwerte ergibt dann den gesamten Nutzwert für jede Variante.
Diese Auswertung ergibt das folgende Bild:
Neben den zu vergleichenden Varianten ist eine „Ideale“ in dieser Darstellung enthalten. Diese Variante hat einen theoretischen Charakter; sie dient dazu, einen 100%-Wert zu definieren, an dem sich die konkreten Varianten messen lassen. Die „Ideale“ entsteht durch die Berücksichtigung des Maximalwertes des Zielerfüllungsfaktors der konkreten Varianten für jedes einzelne Kriterium.
Aus den ermittelten Nutzwerten lassen sich einige Erkenntnisse ableiten. Die Stärken und Schwächen der Varianten kann man für jedes einzelne Kriterium erkennen, aber insbesondere wird hier die Gesamtbewertung dargestellt. Für diesen Fall zeigt die letzte Zeile der vorstehenden Matrix die generelle Rangfolge der Varianten, während die in der darüber liegenden Zeile ablesbare Erfüllung der Idealen diese Rangfolge quantifiziert.
Die Quantifizierung in diesem konkreten Fall ist insofern bemerkenswert, als die Taltrasse mit 21,6% einen ungewöhnlich niedrigen Wert für die Erfüllung der Idealen aufweist. Dies zeigt, dass diese Variante nach der Bewertung unter den aufgezeigten Kriterien nicht als konkurrenzfähig anzusehen ist. Favorit unter diesen verglichenen Varianten ist demnach die D-Trasse, während H-Trasse und 0-Trasse möglich Alternativen sind, die allerdings bereits einen nennenswerten Rückstand gegenüber der D-Trasse aufweisen.